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Kulturhof Villach
Lederergasse 15,Villach

Eintritt: 30

Ethnic Heritage Ensemble

Kahil El´Zabar, drums, perc, voice

Corey Wilkens, tp

Alex Harding, bsax

Ishmael Ali, cello

Das Ethnic Heritage Ensemble wurde 1973 von dem legendären Chicagoer Perkussionisten Kahil El’Zabar gegründet, der aus der ebenso legendären Association for the Advancement of Creative Musicians (AACM) hervorgegangen ist. Neben dem Art Ensemble of Chicago ist das Ethnic Heritage Ensemble das zweite Ensemble der ersten Generation der AACM, das immer noch existiert – und wie. Die Idee der Great Black Music, nämlich Afro-Amerikanische Musik mit traditioneller Afrikanischer Musik rückzukoppeln und dabei alle Freiheiten der Improvisation zu nutzen, trägt seit über 50 Jahren und hat neue Generationen interessanter Spieler hervorgebracht. Das Ethnic Heritage Ensemble verfügt über einen unglaublichen Groove, innovative Harmonien und Kontrapunkte, ein ausbalanciertes Interplay zwischen den Akteuren und eine hoch entwickelte, ausgeprägte Dynamik im Ensemble. „Wir sind starke individuelle Solisten mit tiefem Einblick in die Musikgeschichte, mit Originalität, Furchtlosigkeit und tiefer Spiritualität“, sagt Kahil El’Zabar.

Kahil EL'Zabar

Kahil El'Zabar: Etwas Rätselhaftes ergreift Besitz von ihm

Seit 50 Jahren prägt Kahil El'Zabar den Spiritual-Jazz. Nun haben auch heutige Jazz-Hipster und Hip-Hop-Fans den Schlagzeuger aus Chicago für sich entdeckt. Ein Treffen

Von Jonathan Fischer

28. November 2024, 10:20 Uhr

Etwas Rätselhaftes ergreift Besitz von ihm – Seite 1

Schlagzeuger mit Stil: die Jazzlegende Kahil El'Zabar © Sandro Miller

Alles an dem Mann strahlt Eleganz aus. Coolness. Eine Mischung aus Verwegenheit und Stil, die eher an die Cover klassischer Soul- und R-'n'-B-Alben von Motown Records erinnert als an Spiritual- und Free-Jazz. Man kann sich Kahil El'Zabar, einen athletischen Typen mit Stetson, gepflegtem Schnauzer und eleganten Retrohemden, als Model vorstellen – bis man ihn in der Münchner Unterfahrt erlebt, einem dieser verschwitzten Jazzkeller, die der 71-jährige seit einem halben Jahrhundert als Schlagzeuger und Perkussionist bespielt. 

Kastagnetten bindet er sich dafür um die Knöchel, nimmt seine Waschbecken-große Rahmentrommel in die Hand, schlägt einen Beat. Und plötzlich fällt alle Zurückhaltung von ihm ab, ergreift etwas Rätselhaftes von ihm Besitz. Während die junge Begleitband El'Zabars, die aktuelle Version des Ethnic Heritage Ensemble, seinem polyrhythmischen Groove folgt, ihn melodisch untermalt und kontrapunktiert, lässt sich der Bandleader unter lustvollem Grunzen Richtung Trance treiben: "Open me, open me …" singt er, schreit er, flüstert er. Ist das noch ein Konzert oder schon eine Séance?

Später wird El'Zabar auf der leeren Bühne bei einem Pfefferminztee – "Ich konsumiere weder Alkohol noch andere Drogen" – erzählen, er habe als Jugendlicher Mahalia Jackson und John Coltrane gehört und verstanden: "Die Vibration der Klänge berührt uns im Innersten. Sie hat die Kraft, Menschen zu verändern." Das mag für Uneingeweihte esoterisch klingen. Das Feinstoffliche aber, dem der Künstler aus Chicago seit jeher nachspürt, macht seine musikalische Stärke aus. Er kann es mit Jazzgrößen wie Archie Shepp und Pharoah Sanders aufnehmen – beide haben auf Alben von El'Zabar gespielt.

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Nur dem kommerziellen Erfolg stand die Suche im Weg, etwa als El'Zabar 1973 von Paul Simon für Aufnahmen zu dessen Hit Love Me Like a Rock engagiert wurde. "Ich bekam 1.500 Dollar die Woche, egal, ob eine Session stattfand oder nicht", sagt El'Zabar und lacht. "Meine Eltern, die einiges für mein Studium geopfert hatten, sahen mich endlich auf der sicheren Seite – aber dann musste ich sie enttäuschen. 'Spielst du noch für Paul Simon?' 'Nein, ich habe gekündigt!'" El'Zabar liebt es, Dialoge mit dramatischen Stimmnuancen nachzuerzählen. "'Mom, Dad, ich hänge mit Muhal Richard Abrams, Steve McCall, George Lewis und Henry Threadgill ab.' 'Okay, das sind große Jazznamen. Und was verdienst du?' 'Wir spielen jeden Sonntag in einem Laden auf der Southside, und sie geben uns 50 Dollar.'"

So tourte El'Zabar jahrzehntelang vor einer Handvoll Zuschauer über provinzielle Bühnen und durch Jazzclubs, organisierte Workshops zum Black History Month an Schulen oder verdiente sich etwas mit selbst genähter Mode dazu. Seine Mutter hatte ein Geschäft für Brautmoden geführt und ihrem Sohn das Schneidern beigebracht. El'Zabars eleganter Kleidungsstil hat hier seinen Ursprung. Er entwarf in der Folge die Bühnenkostüme für Nina Simone, Nona Hendryx oder Henry Threadgill. 

Für seine Musik erhält er die verdiente Anerkennung erst heute. Bei seinem Münchner Konzert wird er von einem Bandmitglied als "eine der letzten lebenden Legenden einer revolutionären Ära des Selbstausdrucks" vorgestellt. "Sie haben mich im Jazzmagazin Down Beat als Musiker des Jahres und mit dem Album des Jahres ausgezeichnet", sagt El'Zabar. "Man kürte mich gar zu einem der Newcomer des Jahres." Süffisantes Lachen. "In meinem Alter!"

Tatsache ist: Kahil El'Zabar hat bereits mehr als 50 Alben veröffentlicht. Ein Newcomer ist er aber auch, gewissermaßen, weil der Schlagzeuger gerade von einer neuen, mit Hip-Hop aufgewachsenen Generation entdeckt wird. Er bekommt Shoutouts von Ahmir "Questlove" Thompson, dem Drummer des Rap-Kollektivs The Roots. Erykah Badu hat eines ihrer Videos mit einem Song von El'Zabar unterlegt, der Jazz-Veteran schrieb außerdem die Titelmelodie des von Dave Chappelle moderierten Podcasts Midnight Miracle. 2022 spielte El'Zabar auf dem We-Out-Here-Festival in der englischen Provinz vor 20.000 Menschen. Selbst seine Enkel – "Für sie war ich immer nur granddad, sie würden nie auf ein Konzert von mir gehen" – finden ihn plötzlich cool. Unter anderem, weil El'Zabar vom Rapper Yasiin Bey (früher bekannt als Mos Def) gebeten wurde, einen Song für dessen neues Album zu schreiben.

Lange habe man ihm vorgeworfen, dass er sich "mit primitiven, Folk-orientierten Sounds" unter Wert verkaufe, sagt El'Zabar. Für sein Ethnic Heritage Ensemble oder auch das Ritual Trio wählte er unkonventionelle Besetzungen: Nur Bläser und Percussion, außerdem sein signature instrument, die Kalimba, ein metallisch schepperndes Fingerklavier. El'Zabar setzt ganz auf die Kraft von Chants und komplexen improvisierten Rhythmen. Er strebe mit seiner Musik nach "Heilung", sagt er. 

Ein Gedanke, den er in Westafrika fasste: 1973 reiste El'Zabar für sechs Monate nach Ghana. Er lernte, Yoruba zu sprechen und die Rhythmen der Aschanti und Ga zu spielen. "Vor allem aber fand ich in Ghana Nähe", sagt er. "Eine Mentalität des Händeschüttelns und Sich-in-die-Augen-Schauens, die ich vorher nicht kannte. Ich verstand, dass wir Schwarzen uns in den USA angewöhnt hatten, den offenen Ausdruck zu vermeiden. Das war ein Schutzmechanismus. Und nun öffneten mich die Erfahrungen in Ghana dafür, wer ich wirklich war. Ich begriff, dass ich meine Musik ohne die Restriktionen westlicher Konventionen komponieren durfte."

"Je älter ich werde, desto mehr habe ich zu lernen"

Acht Jahre lang war Kahil El'Zabar Präsident der Association for the Advancement of Creative Musicians. Die progressiven Ideen des Kollektivs prägen ihn bis heute. © Sandro Miller

Für den als Clifton Blackburn geborenen El'Zabar war diese Zeit eine Art homecoming. Sein Vater, ein GI, hatte seine Mutter, eine aus Eritrea stammende Näherin, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg im französischen Verdun kennengelernt. Sie heirateten und ließen sich auf der Southside von Chicago nieder. El'Zabar wuchs dort in einer höchst musikalischen Umgebung auf. Er schippte Schnee für die benachbarte Gospelsängerin Mahalia Jackson. Er fuhr Rollschuh mit Natalie Cole, der Tochter von Nat King Cole, die selbst Sängerin wurde. Er spielte mit dem späteren Soulstar Jerry Butler Basketball – oder tingelte als Drummer mit Donny Hathaway durch die lokalen Clubs.

Chicago war zu dieser Zeit noch stark segregiert, zugleich funktionierten die Schwarzen Viertel der Stadt als Talentschmiede. El'Zabars Vater, inzwischen Polizist und Freizeitmusiker, brachte seinen Sohn mit prägenden Lehrern zusammen. "Ich schaute mir von Stevie Wonder die Songformen ab und von Nina Simone den Performance-Stil, während Dizzy Gillespie mir das Arrangieren beibrachte", sagt El'Zabar. "Er bestärkte mich darin, dass ich auch als Perkussionist Bands leiten könnte."

Schon mit 16 hatte El'Zabar seinen Künstlernamen parat. Kahil nannte ihn sein eritreischer Onkel, El'Zabar lautete der Mädchenname seiner Mutter. "Ich begann zu einer Zeit, als viele Künstler nach ihrer afrikanischen Identität suchten", sagt er und lacht. "Erst in Afrika erklärten mir die Meister, dass ich mit meiner Herkunft aus Chicago schon eine musikalische Identität hatte, dass meine Sprache der Blues war." Mit 24 Jahren, kurz nach seiner Zeit in Ghana, wurde er zum Präsidenten der Association for the Advancement of Creative Musicians (AACM) gewählt, einer 1965 in Chicago gegründeten Plattform für musikalische Experimente und Innovation. Jazz wurde von der Association als kollektive, gesellschaftliche Kraft verstanden. El'Zabar bekleidete den Posten acht Jahre lang.

Die progressiven politischen Ideen der AACM verinnerlichte der Schlagzeuger. Mit dem Album America the Beautiful antwortete er im Jahr 2020 auf Rassismus und Polizeigewalt in den USA. "Mein jüngster Sohn war auf einer Demonstration von Black Lives Matter von Polizisten geschlagen worden", sagt er. "Lokale Zeitungen hoben ein Foto, das ihn blutend zeigte, auf ihre Titelseiten. Einerseits machte mich das traurig. Andererseits war ich stolz auf sein Engagement und verarbeitete dies in meiner Musik." El'Zabar tauchte die Nationalhymne der USA in Bluesnoten und unreine Harmonien, nahm für das Album aber auch Tanznummern wie Express Yourself auf. Zwar sei die Schönheit Amerikas verwundet worden, sagt El'Zabar, aber dennoch müsse er als Künstler mit dem Echten weiterhin gegen das Falsche vorgehen.

Die Frequenz der Veränderung

Inzwischen pilgern angesagte Jazzmusiker wie Shabaka Hutchings oder Makaya McCraven zu El'Zabar, um Wissen und Energie des Veteranen anzuzapfen. "In einem Interview sprach Shabaka davon, wie viel er von mir gelernt habe", erinnert sich El'Zabar an den britischen Saxofonisten und Flötisten. "Daraufhin bekam ich Anrufe anderer Musiker aus London, die fragten: 'Wann können wir dich in Chicago besuchen?'" 

Der Lernprozess funktioniert dabei in beide Richtungen. "Ich komme aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren, als der Swing noch den Beat vorgab", sagt El'Zabar. "Diese jüngeren Kids, mit denen ich auf meinen letzten vier, fünf Alben spielen konnte, wurden eher von Hip-Hop-Beats beeinflusst. Ich musste alles, was ich kannte, über den Haufen werfen, um eine musikalische Verbindung mit ihnen aufbauen zu können. Je älter ich werde, desto mehr habe ich zu lernen."